Röm 11, 23-27

Röm 11,23-27 im Rahmen des Neuen Testaments erklärt 
Thomas Jettel, Dättlikon 2019

I.   Einleitung – Der Rahmen des Römerbriefes

Paulus geht auf die bestehenden seelsorgerlichen Probleme in der Römergemeinde ein, wo einige Heidenchristen zur Verachtung gegenüber ihren ungläubigen jüdischen Zeitgenossen neigten, aber auch zur Überheblichkeit gegenüber den aus der Judenheit Roms Gläubiggewordenen, die noch „schwach” waren (14,1-15,3). Er lässt seine Leser nicht im Unklaren darüber, dass mit dem Kommen des Retters die große Entscheidung für seine Generation des Zwölfstämme­volkes (Apg 26,6) angebrochen war: Diejenigen, die dem Messias zunächst ihre Nachfolge verweigert hatten (z. B. Mat 13,10-15) und daher aus dem „Ölbaum” ausgebrochen worden sind, würden entweder über ihre Verhärtung noch rechtzeitig (zu ihren Lebzeiten) ihre Gesinnung ändern und das Angebot der Versöhnung mit Gott in der „jetzigen Zeit” des Versöhnungsdienstes der Apostel doch noch im Glauben annehmen (Röm 3,25.26; 5,10.11; 11,27) und deswegen infolge der unbereubaren Gnadengaben Gottes (11,29) als geistbegabte „Söhne Gottes” neuerlich in den „edlen Ölbaum” eingepfropft werden (11,20.23.24), oder aber sie würden – im Unglauben verharrend – aus dem „Ölbaum” ausgebrochen bleiben und damit an dem Ziel Gottes mit Israel (nämlich der Sündenvergebung im neuen Bund; 11,27) aus eigener Schuld „am Ziel vorbeitreiben” (Heb 2,1) und für ewig verlorengehen.

II. Hauptteil: Fragen, die Paulus in Röm 11 behandelt

1.   Er teilt den Römern „ein Geheimnis“ mit. Worin besteht es?

2.   Wie kann das verhärtete Israel noch gerettet werden?

3.   Was bedeutet die „Fülle der Heiden“?

4.   Was bedeutet „das ganze Israel”?

  1. „Dieses Geheimnis“

„[…] denn ich will nicht, Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt sei, damit ihr euch nicht selbst klug dünkt“ (V. 25). Was Paulus hier sagt, ist etwas, das im Alten Testament so nicht geoffenbart war. „Geheimnisse” sind Tatsachen oder Wahrheiten, die der Mensch nicht von sich aus durch Beobachtung, Erfahrung und Nachdenken erkennen kann, sondern nur durch göttliche Offenbarung. Um ein solches Geheimnis handelt es sich hier. Worin konkret bestand dieses Geheimnis zu dem Zeitpunkt, als Paulus den Römerbrief schrieb?

  • Erstens darin, dass dem alttestamentlichen Israel Verhärtung teilweise widerfahren ist. Zu diesem Zeitpunkt war dieser Verhärtungsprozess noch nicht abgeschlossen. Noch war das Evangelium nicht zur Gänze den Juden bis „zu den Enden des Weltreiches (Röm 10,18; vgl. Kol 1,6.23) verkündet worden. Noch hatte nicht Israel zur Gänze das Evangelium gehört.
  • Zweitens darin, dass die Verhärtung Israels teilweise fortschreiten werde, bis infolge der Evangeliumsverkündigung „die Fülle der Heiden“ in das Reich Gottes eingegangen sein werde. Das ganze „Israel Gottes“ werde gerettet, wenn der verstockt gebliebene Teil Israels den Messias und das Evangelium endgültig verworfen haben werde.
Diese Wahrheit soll denen aus den Völkern (den „Heidenchristen“) nicht vorenthalten bleiben, damit sie sich nicht für klug halten. V. 25a. Sie sollten nicht hochmütig sein und denken, dass sie „Israel ersetzt“ hätten, sodass es für die Israeliten keine Möglichkeit der Rettung mehr gebe.

2. Die Verhärtung Israels und das ReizmotivDas Gericht war nahe, und „der Richter” stand „vor der Tür” (Jak 5,9). Paulus weiß: Es gibt für seine Volksgenossen nur einen einzigen Weg der Rettung vor dem Verdammungsgericht (Röm 9,28); er bestand darin, nicht im Unglauben zu verbleiben (11,23). Für sie hieß es: „Jetzt ist ‘angenehme Zeit’; jetzt ist ‘Tag des Heils’” (2Kor 6,2; Heb 3,7). Es waren „die letzten Tage” (Apg 2,17; 2,29-39) jenes alttestamentlich-sinaitischen Weltzeitalters. In V. 11 hatte Paulus aufgezeigt, dass Israel, nachdem es „gestolpert“ und gefallen war, nicht am Boden liegen bleiben sollte. Vielmehr sollte es durch die Heidenmission zur Eifersucht gereizt und auf diese Weise veranlasst werden, sich retten zu lassen: Durch Israels Fehltritt „ist das Heil zu den Heiden gekommen, um sie zur Eifersucht zu reizen.” Dafür mühte Paulus sich ab (V. 14). Damit hatte Paulus den Weg aufgezeigt, wie Israel zur Wiederherstellung kommen sollte. Das bedeutet, dass, sobald Juden „eifersüchtig gemacht“ waren, für sie die Tür zum Heil noch offenstand. Eben das ist es, was der Apostel Paulus in Röm 11 betont. V. 25: „[…] denn Verhärtung ist Israel zu einem Teil widerfahren ‹und widerfährt ihnen›. Das griech. Perfekt („ist widerfahren“) zeigt an, dass die Handlung bis zur Gegenwart, also bis zur Abfassungszeit (ca. 57 n. Chr.) noch andauerte. Das Bindewort „denn” am Anfang des Satzes zeigt, dass Paulus sich auf die vorher gemachten Aussagen bezieht. In V. 23 hatte er gezeigt, dass nur diejenigen gerettet werden sollten, die sich – im Glauben – an Christus wenden würden: „Jene werden eingepfropft werden, wenn sie nicht im Unglauben bleiben”. Dem alttestamentlichen Israel war Verhärtung bisher – seit der Kreuzigung des Messias – „zum Teil” widerfahren. Etliche hatten sich reizen lassen und sich bekehrt, aber es war immer nur ein gewisser Teil, während die Übrigen zunehmend verhärtet wurden, in dem Maß, in dem Juden im gesamten römischen Reich das Evangelium hörten und ablehnten. Wir beachten: Verhärtung widerfuhr den einzelnen Juden, die das Evangelium verwarfen, und zwar erst dann, als sie es verwarfen, nicht eher. Zum Beispiel wurden die Juden Roms erst im Jahre 59/60 n. Chr., als sie das von Paulus verkündete Evangelium abgelehnt hatten (Apg 28,24-28), verhärtet. Die fortschreitende „Verhärtung zum Teil” würde andauern, „[…] bis die Heidenfülle (o.: die Fülle derer aus den Völkern) eingegangen sein“ würde (V. 25). – Was dann? Dann tritt ein, was in dem Zitat in Röm 9,28 (gemäß Jes 10,22.23) angekündigt worden war: „Aber Jesaja ruft aus über Israel: Wäre [auch] die Zahl der Söhne Israels wie der Sand des Meeres, [nur] der Überrest wird gerettet werden, denn er ist einer, der das Wort (o.: die verheißene Sache) ganz zu Ende führt und rasch abschließt in Gerechtigkeit, denn der Herr wird eine rasch erledigte Sache (nämlich das angekündigte Gerichtswort) im Lande (o.: auf der Erde) vollführen.” Es geht nicht darum, als wolle Paulus sagen: „Verhärtung ist Israel gegenwärtig nur zum Teil widerfahren, aber das wird sich alles ändern, sobald die aus den Völkern eingegangen sein werden; danach werden alle übrigen Israeliten gerettet werden.” Das sagt Paulus nicht. Paulus hatte bereits erklärt, dass nur der „Überrest“ gerettet werden würde, der vor dem Gericht Gottes, das schnell kommen würde (9,27-28), verschont bleiben sollte (11,5). Dieser Überrest, bestehend aus den gläubigen Juden zur Zeit des Apostels (zu dem er, Paulus, selbst zählte), war damals noch nicht das „ganze Israel”; er war noch nicht vollzählig. Paulus und seine Mitarbeiter am Evangelium arbeiteten mit großem Eifer daran, dass möglichst viele Juden den Messias annehmen würden, denn die Verstockung des (damals) „gegenwärtig“ ungehorsamen Teils der Israeliten war noch nicht abgeschlossen: Laut Röm 11,14 hoffte er, dass etliche von ihnen als Folge seiner Heidenmission noch vor dem Endgericht (70 n. Chr.) zum Glauben an den Christus kämen. Er setzte aber nicht (!) voraus, dass sich sämtliche damals lebenden Israeliten bekehren würden (Röm 11,23). Dass „die Fülle“ nicht die Gesamtheit der Heiden einschließt, ist klar. Das hätte Paulus anders ausgedrückt. Eine „Fülle” ist nicht eine Zahl/Vollzahl, sondern eine große Menge. Das griech. Wort pleerooma kann zwar in gewissen Zusammenhängen auch die Bedeutung von „volle Zahl” haben, aber der übliche Sinn des Wortes ist: „Fülle“, „große Menge”, bzw. „ein volles Maß”. Beispiele: 1Chr 16,32; Ps 24,1; Pred 4,6; Mk 8,20; Röm 15,29 (die alttestamentlichen Stellen n. d. griech. Üsg.); „Fülle des Segens” bedeutet: viel Segen; vgl. den Gebrauch des Wortes pleerooma in 1Kor 10,26: „die Erde und ihre Fülle”.

  • „Das ganze Israel“, aber nicht „alle, die aus Israel“ waren

Was bedeutet „das ganze Israel”? Der Begriff muss im Sinne der Lehre des Apostels Paulus (Röm 9,6.27; 11,5) verstanden werden. Wir versetzen uns zurück in die Zeit des Apostels und der Briefempfänger. In Röm 11 geht es dem Apostel Paulus um die Frage nach der Zukunft des historischen alttestamentlichen Israel. Dieses Israel muss den Messias annehmen, um dem Zorngericht Gottes (70 n. Chr.) zu entfliehen und zur Verheißungserfüllung zu gelangen. Jeder Einzelne aus ihnen muss „in Christus“ in den „Überrest nach Gnadenerwählung” hineingelangen. Nur dieser „Überrest“ wird vor dem göttlichen Zorngericht gerettet – hineingerettet in das neue Jerusalem, das himmlische Erbteil. Von der alttestamentlichen Prophetie her war das historische Israel der potentielle Verheißungsempfänger (Röm 9,4.5). Aber Paulus sagt uns klar, dass nur diejenigen, die den Messias angenommen haben, diese Verheißungen als „Same“ erlangen würden (Röm 9,6-8). Es sind nicht die Kinder des Fleisches, die Kinder Gottes sind, sondern die Kinder der Verheißung werden als Same gerechnet. Nicht alle, die von Jakob abstammten, galten zur Zeit des Apostels Paulus als Verheißungsträger, sondern nur die messiasgläubigen Juden („Kinder der Verheißung”, 9,8). Die anderen, die im Moment noch „Feinde des Evangeliums” waren, blieben aber nicht unwiderruflich ausgeschlossen, denn sie konnten sich noch bekehren, solange Gott ihnen noch die Gnadenfrist dazu schenkte und das Gericht über Israel hinauszögerte. Aus der Geschichte zieht Paulus eine wichtige Lehre: „Isaak” steht sinnbildlich für die gläubigen Juden zur Zeit des Apostels. Sie sind die „Kinder der Verheißung” und haben die wahre Gotteskindschaft geerbt. Sie, „die sich nach den Fußspuren des Glaubens ausrichten” (4,12), werden als der Same Abrahams gerechnet: „[…] denn ihr seid alle Söhne Gottes durch den Glauben in Christus Jesus, denn so viele ihr auf Christus getauft wurdet, ihr zogt Christus an. Es ist da nicht Jude noch Grieche; es ist nicht Sklave noch Freier; es ist nicht männlich und weiblich; denn ihr seid alle einer in Christus Jesus. Aber wenn ihr Christus angehört, dann seid ihr Abrahams Same und nach der Verheißung Erben.“ (Gal 3,26-29) Die ungläubig gebliebenen Juden werden in Gal 4 bildlich durch Ismael dargestellt, der ein Kind „nach dem Fleisch” war (Gal 4,23) und ausgestoßen werden musste, weil er nicht mit Isaak erben durfte (V. 30). Sie stammen zwar von Abraham ab („Kinder des Fleisches”),aber sie werden nicht als Same Abrahams gerechnet, sondern sind vom Reich Gottes ausgeschlossen (vgl. Mat 8,11-12). Mit „ganz Israel” kann daher nicht die Gesamtheit aller „Juden“ gemeint sein, sondern nur die Gesamtheit des „Überrestes” in Christus. Das wahre Israel besteht in Christus fort. Der treue Kern („Überrest nach Gnadenerwählung”, Röm 11,5) – und nur er – wird als Same gerechnet. Für die anderen bestand noch die Gelegenheit, in Christus – und so in den Überrest – hineinzukommen. In ihrem damaligen Zustand waren sie nicht Verheißungsträger, sondern solche, die dem Gericht geweiht waren; dieses war nahe und sollte „rasch“ kommen (vgl. Röm 9,27-28). In dem geretteten „Überrest” müssen auch alle Treuen aus dem Alten Testament mit eingeschlossen sein, denn sie alle sollten gemäß Heb 11,39.40 in der Vollendung zu ihrem ewigen Heil kommen. Folglich kann der Ausdruck: „das ganze Israel” nur bedeuten: das gesamte historische Israel mit Ausnahme derer, die in ihrer Verhärtung verharrten.

III. Paulus‘ Schlussfolgerung im Blick auf Röm 11,23-27

1. Der verstockte Teil Israels und seine Wieder-Einpfropfung (V. 23.24)

Bald nach der Auferstehung des Herrn verkündeten die Apostel in Jerusalem Jesus als den Messias. Aber viele Juden glaubten nicht: „Ihre Gedanken wurden jedoch verhärtet, denn bis auf den heutigen Tag bleibt beim Lesen des alten Bundes derselbe Schleier nicht weggezogen, der, der in Christus schwindet”. (2Kor 3,14) „Wenn unsere gute Botschaft aber auch verschleiert ist, ist sie in denen verschleiert, die ins Verderben gehen, in denen der Gott dieser Weltzeit die Gedanken der Ungläubigen verblendete, sodass ihnen nicht aufleuchtet das helle Licht der guten Botschaft von der Herrlichkeit Christi, der Gottes Ebenbild ist”. (2Kor 4,3.4). Paulus sagte, wenn Israel Buße täte, würde die „Decke” (2Kor 3,14-18; 4,3-6) von ihren Augen (d. h. von den Augen der einzelnen Israeliten) fallen, und sie (jeder Einzelne) würden – in Jesus Christus – den Segen Abrahams erhalten „in dem Abkehren eines jeden”von seiner Bosheit. (Vgl. Petrus in Apg 3,26.) „Aber auch jene, wenn sie nicht im Unglauben bleiben, werden eingepfropft werden, denn Gott vermag sie wieder einzupfropfen; denn wenn du von dem von Natur wilden Ölbaum abgeschnitten und wider die Natur in einen edlen Ölbaum eingepfropft wurdest, wie viel mehr werden diese, die natürlichen Zweige, in den eigenen Ölbaum eingepfropft werden.” (Röm 11,23) Der Grund für den Ausschluss Israels war dessen Unglaube. Es ist hier der verhärtete Teil Israels angesprochen, bestehend aus einzelnen Israeliten. Sofern diese Einzelnen (die zur Zeit des Apostels Paulus noch lebten) nicht im Unglauben bleiben würden, würden sie wieder eingepfropft. Dies ist der Weg, wie Israel zu seinem Heil kommt: Buße und Glaube. Dies geht konform mit dem, was Paulus in 2Kor 3,15-16 erklärt: „[…] sondern bis auf den heutigen Tag [ca. 56 n. Chr., als der 2. Korintherbrief geschrieben wurde] liegt, wenn Mose gelesen wird, der Schleier auf ihrem Herzen. [Paulus zitiert nun Ex 34,34] ‚Wenn es [Israel kollektiv] aber zum Herrn hin umkehren wird [in jedem einzelnen Fall, wann auch immer], wird der Schleier weggenommen‘.” Jedes Mal, wenn – bildlich ausgedrückt – „Israelitenzweige” sich bekehrten, wurden sie ohne Weiteres wieder in den „Ölbaum” eingepfropft. Es war naheliegend, denn es war ihr natureigener Ölbaum. Gott hatte diese „Zweige“ nicht unwiderruflich verstoßen. Die Juden durften immer noch kommen – die gesamte Zeit hindurch, solange die Heidenmission des Apostels Paulus andauerte. Sobald Israeliten umkehrten, wurde der Schleier, der auf ihrem Herzen (in ihrem Denken) lag, weggenommen. Die Hinkehr Israels zu seinem Messias geschah in der Zeit zwischen Pfingsten und dem angesagten Gericht Gottes. 2. Wenn die Fülle der Heiden eingegangen ist, hat der Verhärtungsprozess ein Ende. (V. 25) V. 25: „[…] denn Verhärtung ist Israel zu einem Teil widerfahren ‹und widerfährt ihnen›, bis die Heidenfülle (o.: die Fülle derer aus den Völkern) eingegangen sein wird”. Bis zu jenem Zeitpunkt widerfuhr Israel fortschreitende Verhärtung „zu einem Teil“, sagt Paulus. Das Verhärten Israels ging Hand in Hand mit der Evangeliumsverkündigung des Apostels überall dort, wo Christi Name noch nicht genannt worden war (Röm 15,20); Paulus verkündete jeweils „den Juden zuerst“, danach den Heiden (Röm 1,16; Apg 13,46.47). Da das Eingehen der Heiden mit dem Dienst des Apostels Paulus (und auch der übrigen Apostel) zusammenhing, war das Eingehen der Heiden, von dem hier in V. 25 die Rede ist, mit dem Ende des apostolischen Verkündigungsdienstes erreicht. Mit dem Brand Roms (Sommer 64 n. Chr.) begann die schlimmste Christenverfolgung des ersten Jahrhunderts. Durch die römische Verfolgung war es den Juden im gesamten römischen Reich erlaubt, überall gegen Jesus-Gläubige vorzugehen. Für die Juden, die zum Teil von den jüdischen Zeloten dazu aufgestachelt wurden, war das eine willkommene Gelegenheit. So breitete sich die Christenverfolgung im gesamten römischen Reich aus. Die Heilige Schrift spricht von der „großen Bedrängnis“ (Mat 24,21; Off 7,14) und von der „Stunde der Versuchung (o. Prüfung)“ für die Heiligen (Off 3,10): „Weil du das Wort meiner Ausdauer bewahrtest, werde ich dich auch bewahren vor der Stunde der Prüfung (o. Versuchung), die im Begriff ist, über das ganze Weltreich (o. Imperium; gr.: oikoumenee) zu kommen, um die zu prüfen, die auf der Erde wohnen.“  Vgl. auch 1P 4,17. Mit der Verfolgungszeit und der Tötung der Apostel endete auch der apostolische Verkündigungsdienst (Mat 10,23). Somit war die fortschreitend stattfindende Verhärtung Israels abgeschlossen. Israel war nun ganz verhärtet. Nach (bzw. noch während) der Verfolgungszeit begann der jüdisch-römischen Krieg (66-74 n. Chr.). Dieser erreichte seinen Wendepunkt im Jahr 70 n. Chr. mit dem göttlichen Gericht über Jerusalem und über das historische Israel der alttestamentlichen Tempel-Ära.

3. „Und so wird das ganze Israel gerettet werden.“ V. 26.27
  • Wovor sollte „ganz Israel“ gerettet werden? – Vor dem göttlichen Zorngericht über das historische Israel, vgl. Apg 13,40.41:

„Seht also, dass nicht auf euch komme, was gesagt ist in den Propheten: ‘Seht, Verächter, und verwundert euch und verschwindet, weil ich in euren Tagen ein Werk wirke, ein Werk, dem ihr gar nicht glauben werdet, wenn es euch jemand erzählt!’” (Vgl. Jes 29,14; vgl. auch Röm 9,27.28.)

  • Wo hinein sollte „ganz Israel“ gerettet werden? – Hinein in das neue Jerusalem, in das ihnen verheißene ewige Erbe, das Königreich Gottes (2Tim 4,18; Mat 23,14), das ewige Heil (Röm 11,11; Heb 1,14; 9,28; 1Pet 1,9) und Leben (Mat 7,14; 19,17; Luk 18,18), vgl. Hes 37,23-28:

„Und ich werde sie retten aus allen ihren Wohnsitzen, in denen sie gesündigt haben; und ich werde sie reinigen. Und sie werden mein Volk, und ich selbst werde ihr Gott sein. Und mein Knecht David wird König über sie sein, und sie werden allesamt einen Hirten haben. Und sie werden in meinen Rechten wandeln und meine Satzungen bewahren und sie tun. Und sie werden in dem Lande wohnen, das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe, worin eure Väter gewohnt haben. Und sie werden darin wohnen, sie und ihre Kinder und ihre Kindeskinder, bis in Ewigkeit. Und mein Knecht David wird ihr Fürst sein in Ewigkeit. Und ich werde einen Bund des Friedens mit ihnen schließen, ein ewiger Bund wird es mit ihnen sein. Und ich werde sie einsetzen und sie vermehren und werde mein Heiligtum in ihre Mitte setzen in Ewigkeit. Und meine Wohnung wird über ihnen sein. Und ich werde ihr Gott, und sie werden mein Volk sein. Und die Völker werden erkennen, dass ich Jahweh bin, der Israel heiligt, wenn mein Heiligtum in ihrer Mitte sein wird in Ewigkeit.“

  • Wie sollte Israel gerettet werden? Auf dieselbe Weise wie die Heiden: „Vielmehr glauben wir (d. i.: wir Juden), durch die Gnade des Herrn Jesus Christus gerettet zu werden, auf dieselbe Weise wie auch jene (d. i.: jene aus den Völkern).” (Apg 15,11)

Was meinte Paulus mit: „Und so […]“ (Röm 11,26)? Im Englischen „And thus”, d. h.: „Und so” bzw. „Und folglich”. Folglich werde es ein „ganzes” Israel geben, sagt Paulus. Und dieses werde „gerettet werden”. Man könnte auch übersetzen: Und auf diese Weise“ (wird das ganze Israel gerettet werden). Die Propheten hatten vorausgesagt, dass Israel „am Ende” „gerettet” werden sollte (Jes 49,4-26; 52,7; Jer 23,5-8; 30,7-24; 31,6-34; Joel 3,1-5; 4,1.16-21; Am 9,11-15; vgl. Ps 14,7; 69,36; 110; Jes 11 u. 12; 45,17; 46,13; Kap. 54; 60-62; 65; 66; Ob 17.21; Sach 8,13; 9,9.10; 12,10; 13,1.7-9; 14,1-21 u. a.). Die Frage war: Wie? Wie sollte es zu der im Alten Testament verheißenen zukünftigen Wiederherstellung von „ganz Israel” kommen? – Paulus erklärt: Auf die in Röm 11,11-25 aufgezeigte Art und Weise! Israel wurde in der „Endzeit” (in den „letzten Tagen”, Apg 2,17; Heb 1,2; Jak 5,3) zur Eifersucht gereizt. „Etliche” (Röm 11,14) kamen zum Glauben. Auf diese Weise geschah die endzeitliche Sammlung Israels in den „letzten Tagen” vor Abschluss der israelitisch-levitischen Tempel-Ära. Diese Zeit war abgeschlossen, als die Mission des „Völkerapostels“ Paulus beendet und die Fülle derer aus den Völkern (jene große Menge der Heiden) „eingegangen“ war. Fazit: Das „ganze Israel” ist demnach das um die Ungläubigen dezimierte historische Israel – unter Einschluss all derer aus den Völkern, die durch den Glauben an Christus „eingepfropft“ wurden; denn auch sie gehörten nun zum „edlen Ölbaum“ (Röm 11,16ff), zum „erwählten Geschlecht“, zur „königlichen Priesterschaft“, zum „heiligen Volk“, zum „Volk des Eigentums“ (1Pet 2,9.10).

IV. Zusammenfassend: Röm 11,25-27 mit kurzen Erklärungen

[…] denn ich will nicht, Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt sei, damit ihr euch nicht selbst klug dünkt: [indem ihr meint, Gott hätte Israel durch die aus den Völkern ersetzt. Dem ist nicht so! – sondern:] Verhärtung ist Israel zu einem Teil widerfahren ‹und widerfährt ihnen›, [Das griech. Perfekt wird häufig dazu verwendet, eine Handlung auszudrücken, die zum Zeitpunkt des Sprechens nicht abgeschlossen ist, vgl. das englische present perfectbis die Fülle [im Sinne von: „die große Menge”; Paulus spricht von seinem damaligen Dienst unter den Heiden; vgl. V. 13] derer, die von den Völkern sind, [in Christus hinein – durch den Glauben] eingegangen sein wird [Vgl. V. 13; Paulus hatte in Röm 9,27.28 von dem bald zu erwartenden göttlichen Gericht über Israel gesprochen; so verstehen wir sein Streben, überall in der Diaspora durch seine Heidenmission die Juden zur Eifersucht zu reizen und auf diese Weise möglichst viele zu gewinnen, indem er das Evangelium sowohl Juden als auch Heiden verkündete, dort, wo Christus noch nicht genannt worden war. Wann immer nun Israel es ablehnte, nahm die (teilweise) Verhärtung des Volkes zu. Dieser Prozess sollte sich so fortsetzen, erklärt Paulus, bis die große Heidenfülle ins ewige Heil (d. h., in das im Alten Testament verheißene „neue Jerusalem”) eingegangen sein würde. Paulus schrieb im Hinblick auf das in Röm 9,28 vorausgesagte Gericht.] – und so [schlussfolgernd aus V. 13-25] wird [anlässlich des bevorstehenden Endgerichts, 70 n. Chr.] das ganze Israel [die nunmehr wieder eingepfropften Zweige, die Gesamtheit des Überrestes, vgl. 9,27; 11,5] gerettet werden,  [nämlich vor dem göttlichen Zorngericht und hinein in das ewige Heil], wie geschrieben ist: „Es wird aus Zion kommen der Befreier“ [der, in Bethlehem geboren, nach Jerusalem kam und nach vollbrachtem Erlösungswerk die Botschaft vom Frieden und von der Versöhnung und Erlösung Israels verkündete. Der Geist Christi war in den Aposteln, als sie den Verkündigungsauftrag Christi ausführten. So kam Christus bis nach Ephesus (Eph 2,17) und Korinth (2Kor 5,19.20) und Rom (Apg 28). Alles ging von Jerusalem aus (Luk 24,47).] und er wird ehrfurchtsloses Wesen von Jakob abwenden. [Überall dort (im gesamten römischen Reich*), wo Israel – während der noch geschenkten Gnadenfrist zwischen der Himmelfahrt und dem Gericht – den Messias annahm, wurde nun das „ehrfurchtslose Wesen von Jakob abgewendet“. Vgl. Apg 3,23-26.] „Und dieses ist ihnen der Bund“ [d. h.: die Erfüllung der alttestamentlichen Bundesverheißung, die er Israel gegeben hatte] „von mir” (Jes 59,20.21), „wenn ich weggenommen haben werde ihre Sünden.”