Über die Datierung der Offenbarung

Thomas Jettel, 2021
Abfassungszeit der Offenbarung

Text als PDF-Datei: Herunterladen

Wann die Off geschrieben wurde, ist unter Theologen umstritten. Die einen meinen, unter Kaiser Nero (zwischen ca. 62 und 68 n. Chr.) die anderen, gegen Ende der Regierungszeit des Kaisers Domitian (zwischen 90 und 95 n. Chr.).

Die Kirchenväter und die alten Ausleger waren sich nicht einig, wann Johannes „des Wortes Gottes wegen“ (1,9) auf Patmos war. Viele historisch-kritisch denkende Ausleger haben an der Frühdatierung der Offenbarung (60-68 n. Chr.) festgehalten. (Vgl. Kenneth Gentry, Before Jerusalem Fell). Die Verfechter eines frühen und eines späten Datums haben sich im Laufe der letzten 200 Jahre bis heute etwa die Waage gehalten. Unter den Verfechtern eines frühen Abfassungsdatums sind auch viele bibeltreue und evangelikale Autoren zu finden.

Gentry (Before Jerusalem fell) listet ca. 140 Autoren der letzten Jahrhunderte auf, die für die Frühdatierung eintraten.

Das äußere Zeugnis

Die frühe Kirche hatte keine eindeutige Auffassung bzgl. der Abfassungszeit.

Irenäus (130-202 n. Chr.) schrieb um 180/190 n. Chr., bezugnehmend auf den Namen des Tieres in Off 13,18, Folgendes: „Wir wollen jedoch nicht das Risiko eingehen, uns positiv auszudrücken, welcher der Name des Antichristus sei. Denn wenn es notwendig gewesen wäre, dass sein Name in der gegenwärtigen Zeit öffentlich verkündet würde, wäre er von dem bekannt gemacht (wörtl.: gesagt) worden, der auch die Apokalypse gesehen hat; denn sie (o. er) ist vor nicht so langer Zeit gesehen worden, sondern fast in unserer Generation gegen Ende der Herrschaft des Domitian.“ (Irenäus, Adversus Haereses, 5.30.3, lat.; im griechischen Text erhalten bei Pamphilius Eusebius, Kirchengeschichte, 3.18.3; vgl. 5.8.6. Der engl. Titel: Eusebius, The Ecclesiastical History, Baker, Grand Rapids, repr. 1992. Deutsche Übersetzung des Zitats vom Autor dieses Buches.)

Von diesem Zitat her nimmt man allgemein an, dass Irenäus glaubte, die Offenbarung stamme aus der Zeit um 95 n. Chr. Es gibt berechtigte Zweifel, ob sich Irenäus wirklich auf die „Apokalypse“ bezogen hat.

Was wollte Irenäus sagen? Üblicherweise deutet man das Zitat so: „Wir wagen uns nicht auf einen Namen des Antichristen festzulegen; denn wenn es für unsere gegenwärtige Zeit nötig gewesen wäre, dass wir seinen Namen kennen, wäre er von dem bekannt gemacht worden, der die Apokalypse selbst gesehen hat; denn sie (die Apokalypse) ist vor nicht allzu langer Zeit gesehen worden, sondern noch fast in unserer Generation, gegen Ende der Regierungszeit des Domitian.“

Bei dieser Interpretation erscheint das „denn“ etwas unverständlich. Wie hängt der erste Satz mit dem zweiten zusammen? Die Aussage, dass das Gesicht (d. i. das Buch der Off) am Ende der Regierung des Domitian gesehen worden ist, liefert keine Erklärung dafür, warum Johannes den Namen des Antichristus nicht hätte sagen sollen.

Einfacher und klarer wäre die Aussage des Irenäus, wenn das Subjekt des Verbes „Johannes“ ist. Die Sätze würden dann einen klaren Sinn ergeben. Etwa so: „Wir wagen es nicht, uns auf einen Namen des Antichristus festzulegen; denn wenn es für unsere gegenwärtige Zeit nötig gewesen wäre, dass wir seinen Namen kennen, wäre er von dem bekannt gemacht worden, der die Apokalypse selbst gesehen hat; denn er (der Autor, Johannes) ist vor nicht allzu langer Zeit (noch) gesehen worden, sondern noch fast in unserer Generation, gegen Ende der Regierungszeit des Domitian. D. h., er lehrte vor nicht langer Zeit noch unter uns, nachdem er (so manche Jahre vorher) das Buch der Offenbarung geschrieben hatte. Er hätte also genug Gelegenheiten gehabt, das Rätsel bezüglich des Namens des Antichristus zu enthüllen, hätte er es gewollt. Und weil er so lange lebte, nämlich fast bis in unsere Generation, wäre die Erklärung über den Namen des Antichristus bis zu uns erhalten geblieben, hätte er sie jemals gegeben.“[1]

Im Übrigen ist Irenäus, der in Lyon fern von den kirchlichen Traditionszentren lebte, oft in seinen Angaben historisch unzuverlässig, weswegen ihm schon viele Kirchenväter in verschiedenen Aussagen nicht folgten. So sagt er z. B., dass das apokryphe Werk „Der Hirte des Hermas“ ein kanonisches Buch und dass die Septuaginta (die griech. Übersetzung des AT) eine inspirierte Version sei; ebenso, dass der Diakon Nikolaus (Apg 6,5) der Führer der Nikolaiten (Off 2,6) gewesen sei, dass Jesus etwa 15 Jahre öffentlich im Dienst gestanden und erst im Alter von 40 bis 50 Jahren gestorben sein soll.[2] Viele Gelehrte geben zu, dass Irenäus in Fragen der Chronologie unzuverlässig ist.[3] Eusebius weicht in manchen Punkten auffällig von Irenäus‘ Aussagen ab.[4]

Schirrmacher (in: Frühdatierung der Offenbarung) fügt hinzu: „Selbst, wenn Irenäus tatsächlich so verstanden werden sollte, dass die Offenbarung unter Domitian geschaut wurde, könnte sich dies immer noch auf 70 n. Chr. beziehen, denn zu jener Zeit hatte Domitian in Vertretung seines abwesenden Vaters Vespasian die ‚imperio consulari‘ (d. h., die volle konsularische Autorität) und führte und unterzeichnete alle Regierungsgeschäfte.“

Fazit: Die Untersuchung des Beweismittels des Irenäus für eine Spätdatierung ruft Zweifel an der Eindeutigkeit, Klarheit und Zuverlässigkeit dieses Zeugnisses hervor. Man sollte dem Irenäuszitat nicht so viel Gewicht beimessen.

Grundsätzlich sind außerbiblischen Zeugen mit Vorsicht und Zurückhaltung zu bewerten. Innere Kriterien haben Vorrang. (Dazu siehe unten.)

Ein weiterer Zeuge für die Spätdatierung ist Klemens von Alexandrien (ca. 150-215 n. Chr.). Er schreibt:

„Als er nach dem Tod des Tyrannen von der Insel Patmos nach Ephesus überwechselte, pflegte er, wenn man ihn darum bat, auch in die benachbarten Gegenden der Heiden zu gehen, um an einigen Orten Bischöfe einzusetzen, an anderen ganze Gemeinden zu organisieren …“[5]

Klemens erwähnt leider nirgendwo den Namen dieses „Tyrannen“. Es könnte auch ein früherer Herrscher gewesen sein. Erst Eusebius identifizierte ihn mit Domitian. Gentry gibt eine Reihe von Kirchenvätern und heidnischen Schriftstellern an[6], die Nero als den „Tyrannen“ bezeichnen.[7] Nero wurde von vielen (sogar bis zur Zeit des Augustinus, d. h. bis ins 5. Jh. n. Chr.) für den „Menschen der Sünde“ bzw. für einen (oder den) Antichristen gehalten.[8] Der Kontext des Klemenszitates macht es schwierig, sich Johannes als einen ca. 85- bis 95-jährigen alten Mann vorzustellen; denn so alt wäre Johannes in etwa gewesen, wenn Klemens sich auf das Ende der Regierungszeit des Domitian bezogen hätte. Im Kontext ist davon die Rede, dass Johannes nach seiner Verbannung ausgedehnte Reisen unternahm und zu Pferd im vollen Galopp einem jungen Gemeindeleiter nachjagte.[9] Ist hingegen mit dem Tyrannen Nero gemeint, wäre Johannes immerhin 25 Jahre jünger gewesen.

Es ist leicht möglich, dass Klemens mit dem „Tyrannen“ den Kaiser Nero meinte, und dass Johannes unter Nero auf Patmos war.[10]

Entscheidend für die Auffassung von Klemens ist die Äußerung, dass die Offenbarungen an die Apostel „unter Nero aufhörten“ (Verschiedenes, 7.17). Da er den Apostel Johannes eindeutig für den Verfasser der Offenbarung hielt (Quis Salvus Dives, 42; Verschiedenes, 6,13), würde das bedeuten, dass auch die Offenbarungen an Johannes unter Nero beendet wurden.

Der Autor des apokryphen Werkes „Der Hirt des Hermas“ (zwischen 80 und 90 n. Chr. verfasst) kennt

eindeutig das Buch der Offenbarung. Wenn die Zeit des Abschreibens und Verbreitens bis Rom (wo der Hirt des

Hermas verfasst wurde) eingerechnet wird, muss die Offenbarung vor Regierungsantritt des Domitian (also vor

81 n. Chr.) verfasst worden sein. Jedenfalls wird dadurch die Meinung des Irenäus widerlegt, die Offenbarung wäre erst gegen Ende der Regierungszeit des Domitian (96 n. Chr.) verfasst worden.

Tertullian (160-220 n. Chr.) nennt den Tod des Petrus und Paulus in Rom in einem Atemzug mit der Verbannung des Johannes. Er schreibt über Rom: „Wo Petrus einen Tod erlitt wie sein Meister [d.h., durch Kreuzung], wo Paulus durch den Tod des Johannes [des Täufers] gekrönt wurde [d.h., durch Enthauptung], wo der Apostel Johannes, nachdem er in siedendes Öl getaucht worden war und keine Leiden erlitten hatte, auf eine Insel verbannt wurde.“[11] – Hieronymus, der diesen Abschnitt zitiert, interpetiert nach Tertullian, dass das Leiden des Johannes ebenso wie das des Petrus und Paulus unter Nero stattgefunden hat.[12]

Origenes von Alexandrien (185-254 n. Chr.) schreibt, dass der „König der Römer, wie die Offenbarung lehrt, Johannes auf Patmos verbannt“ habe. Origenes fügt hinzu, dass Johannes jedoch nicht sagt, wer ihn verurteilt habe.[13] Die Tatsache, dass der Name dieses „Königs“ weder bei Klemens noch bei Origenes erwähnt wird, spricht eher gegen Domitian als dafür. Wären Origenes oder Klemens überzeugt gewesen, dass es Domitian war, hätten sie darauf hingewiesen. Origenes hat mit großer Sicherheit die Aussage des Irenäus (das oben zitierte Irenäuszitat) gekannt.[14] Aber er beruft sich nicht auf die Tradition, um den Namen des römischen Kaisers angeben zu können. Stattdessen sagt er ausdrücklich, dass Johannes den Namen des Kaisers in der Apokalypse verschweigt.

Die römischen Kaiser trugen den Titel „König“ übrigens nur bis Nero.

Bischof Victorinus von Pettau (†ca. 303/304 n. Chr.) schreibt in seinem Kommentar zur Apokalypse zur Stelle 10,11: „Als Johannes diese Dinge sagte, war er auf der Insel Patmos, von Kaiser Domitian zur Bergwerksarbeit verurteilt. … Nachdem er aus den Bergwerken entlassen war, überlieferte er in der Folge dieselbe Apokalypse, die er von Gott empfangen hatte.“[15]

Victorinus sagt, dass Johannes zur Zeit des Domitian verbannt wurde. Was aber eigenartig anmutet, ist die Tatsache, dass Johannes, der auf jeden Fall zwischen 85 und 95 Jahre alt war, zur Bergwerksarbeit verurteilt war und danach noch so kräftig war, dass er nach Ephesus zurückkehrte und die asiatischen Gemeinden reorganisierte. Diese Schwierigkeit würde aber sofort beseitigt, wenn Victorinus (vielleicht von Irenäus beeinflusst) irrtümlich den Schluss gezogen hätte, dass Johannes unter Domitian auf Patmos verbannt wurde.

Außerdem hat Bousset (Fn.: Wilhelm Bousset, Die Offenbarung Johannis. Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament, Göttingen, 1966, Nachdruck von 1906, S. 53-54) gezeigt, dass Victorinus das ‚Tier‘ der Offenbarung auf Nero gedeutet hat, auch wenn er die Offenbarung für unter Domitian verfasst hielt.

Eusebius von Caesarea (260-340 n. Chr.) schrieb in seiner Kirchengeschichte über die Verfolgung am Ende der Regierungszeit des Kaisers Domitian: „In jener Verfolgung, so sagt es die Tradition, war der Apostel und Evangelist Johannes noch am Leben; er war aufgrund seines Zeugnisses des göttlichen Wortes verurteilt, auf der Insel Patmos zu leben. Jedenfalls sagt dies Irenäus in seinem 5. Buch Adversus Hereses (an der Stelle), wo er in der oben erwähnten Apokalypse über die Zahl des Namens des Antichristen folgendermaßen schreibt.“[16] (Hier folgt bei Eusebius das oben angeführte Zitat des Irenäus.)

Beachten wir, dass zur Zeit des Eusebius die Tradition schon stabilisiert war. Leider ist Eusebius keinesfalls objektiv. Hinsichtlich der Verbannung des Johannes und der Entstehung der Offenbarung gibt er seine Abhängigkeit von Irenäus deutlich zu. Dennoch unterscheidet er sich in einem wichtigen Punkt deutlich von Irenäus: Eusebius glaubt nicht, dass das Buch der Offenbarung von dem Apostel Johannes geschrieben wurde, sondern von einem gewissen „Presbyter Johannes“.[17] Dadurch erscheint das Zeugnis des Eusebius in sich widersprüchlich: Einerseits, was die Langlebigkeit des Apostel Johannes betrifft, stützt er sich auf Irenäus’ angebliche Zuverlässigkeit, der behauptete mit einem Augenzeugen des Apostels Johannes (nämlich mit Polykarp) Kontakt gehabt zu haben. Aber andererseits, was die apostolische Verfasserschaft der Offenbarung betrifft, lässt er das Zeugnis des Irenäus unberücksichtigt. Wenn er dem einen Bericht des Irenäus – aufgrund seiner angeblichen Zuverlässigkeit – Glauben schenkte, warum dann dem anderen nicht?

Zum Tod des Johannes: Das Martyrium des Johannes war, wie es scheint noch vor 70 n. Chr.

Eusebius berichtet von Papias (130 n. Chr., Bischof von Hierapolis) bzgl. Johannes: „Papias sagt, Johannes, der Theologe, und sein Bruder Jakobus wären von den Juden getötet wurden.“ (Pap 5,5; 6,3-6). Wenn das stimmt, muss es zu einem Zeitpunkt gewesen sein, zu dem die Juden noch in der Lage dazu waren und die Gelegenheit dazu hatten, also vor 67 n. Chr. Nach 70 hatten die Juden weder die richterliche Möglichkeit noch die politische Vollmacht jemanden hinzurichten.

Epiphanius, Bischof von Salamis, (315-403 n. Chr.) war ein Zeitgenosse und Freund des Hieronymus. Er weist auf die Verbannung des Johannes hin, die unter „Claudius Caesar“ stattfand. Außerdem bemerkt er, Johannes habe „in der Zeit des Claudius geweissagt und so (…) das prophetische Wort gemäß der Apokalypse bekannt gemacht.“[18]

Einige Gelehrte meinen, Epiphanius hat hier einen der anderen Namen des Kaisers Nero verwendet. Hort meint, Epiphanius beziehe seine Information von Hippolyt (ca. 170-236 n. Chr.) und meine tatsächlich den Kaiser Nero.[19] Robinson meint, Epiphanius habe Nero Claudius mit Claudius Nero verwechselt. Er schreibt: „Obwohl er auch zu implizieren scheint, dass „Claudius“[20] Kaiser war, als Johannes schon sehr alt gewesen ist![21] Was auch immer Epiphanius gemeint haben mag, es scheint, dass seine Quelle Nero gemeint habe, dessen weiterer Name „Claudius“ war (ebenso wie des Kaisers Claudius weiterer Name „Nero“ war).“[22]

Hieronymus (340-420 n. Chr.) schreibt in seinem Werk „Adversus Jovinianum“, dass Johannes unter der Regierungszeit des Domitian auf Patmos verbannt war und dort die Offenbarung gesehen hat. Dann fügt er aber hinweisend auf Tertullian (siehe oben) hinzu, dass das Leiden des Johannes (sein Eingetauchtwerden in siedendes Öl und seine anschließende Verbannung nach Patmos) zeitgleich mit dem des Petrus und Paulus in Rom stattgefunden habe – nämlich unter Nero! Er selbst akzepiert zwar die domitianische Datierung der Offenbarung (in Anlehnung an Eusebius[23]), sein Text zeigt aber, dass er scheinbar zwei Traditionen vermischt. Tertullians Hinweis lässt stark ein neronisches Datum vermuten, wie wir oben festgestellt haben. Hieronymus gibt damit einen Hinweis darauf, dass es in Bezug auf die Verbannung des Johannes schon früh zwei konkurrierende Traditionslinien gab, eine neronische und eine domitianische.

Syrische Zeugen (6. und 7. Jh. n. Chr.):

Die syrische Geschichte des Johannes, des Sohnes des Zebedäus[24] sagt ausdrücklich, dass Nero den Johannes verbannt habe: „Danach, als sich das Evangelium durch die Wirksamkeit der Apostel verbreitete, hörte Nero, der unreine und gemeine und böse König, alles, was sich in Ephesus zugetragen hatte. Und er sandte hin, nahm alles, was der Prokurator besaß, und legte an den heiligen Johannes Hand an und trieb ihn in die Verbannung; und er sprach das Urteil aus, dass die Stadt verwüstet werden sollte.“

Die Aussage ist sehr klar: Johannes wurde unter Nero verbannt.

Beide syrischen Versionen der Offenbarung[25] (die Version des Thomas von Hakel, 616 n. Chr., und die von Polykarp, wahrscheinlich 508 n. Chr.) erwähnen in der Überschrift, dass Johannes unter Nero verbannt wurde. Wörtlich heißt es dort: „Geschrieben in Patmos, wohin Johannes vom Kaiser Nero gesandt wurde.“[26]

Andreas von Kappadozien (6. Jh. n. Chr.) zieht eine domitianische Datierung vor, führt aber andere Ausleger seiner Zeit an, welche einige der Prophezeiungen der Offenbarung auf den jüdischen Krieg (66-70 n. Chr.) beziehen. Er gibt Zeugnis, dass es im sechsten Jahrhundert „etliche“ anerkannte Kommentatoren gab, die das Buch der Offenbarung vor 70 n. Chr. datierten.

Theophylakt (1107 n. Chr.) bringt einen interessanten Hinweis für eine zweifache Tradition über die Datierung der Verbannung des Johannes. In seinem Vorwort zum Kommentar über das Johannesevangelium sagt er, dass Johannes 32 Jahre nach der Himmelfahrt Jesu auf die Insel Patmos verbannt wurde, d. h. im Jahr 62 n. Chr., in der Regierungszeit Neros. In seinem Kommentar zu Mt 20,22 erwähnt er eine Verbannung des Johannes unter Trajan.[27]

Schlussfolgerung

Der bekannte Textkritiker Hort fasst den Befund so zusammen: „Wir finden beide, Domitian und Nero, erwähnt. … Einerseits ist die sich auf Domitian beziehende Überlieferung nicht einhellig, andererseits ist dies die vorherrschende Überlieferung. … Wenn eine äußere Überlieferung allein entscheidend wäre, gäbe es ein klares Übergewicht für Domitian.“[28]

Dennoch hat Hort zusammen mit Lightfoot und Westcott – ein gewichtiges Trio in Fragen der Datierung und Textkritik – ein domitianisches Datum abgelehnt. Alle drei treten für ein Datum zwischen dem Tod Neros und der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 ein. Dies war – so nach Hort – die „allgemeine Tendenz des gesamten Kritizismus“ für fast das gesamte 19. Jahrhundert. Im 20. Jahrhundert ist das Pendel in die Gegenrichtung ausgeschlagen. Heute überwiegt unter den Gelehrten die domitianische Datierung. Es gibt jedoch viele, die am Umdenken sind. 1975 gab John A. T. Robinson sein revolutionäres Buch „Redating the New Testament“ heraus.[29] In diesem Werk bringt Robinson Belege dafür, dass das gesamte Neue Testament vor dem Jahr 70, vor der Zerstörung Jerusalems, abgeschlossen war. Robinson teilt in einer Fußnote mit, dass jetzt (1975) selbst F.F. Bruce in diese Richtung (nämlich frühe Datierung der Offenbarung) neige.[30]

Wir glauben, dass man aufgrund des äußeren Zeugnisses die domitianische Datierung nicht halten kann. Gentry’s Untersuchung führt ihn zu dem Urteil, dass das äußere Zeugnis eher für eine neronische Datierung spricht[31]: Das Irenäuszitat ist grammatikalisch zweideutig; Klemens und Origenes sind zweifelhafte Zeugen, die den Namen des Domitian nicht erwähnen und ebensogut auf Nero gedeutet werden können (Neros Name: Domitius. Jos, Ant, 20,8,1-3. inkl Fußnoten. Nero Domitius Aenobarbus [= nach seinem Vater benannt]. Als Claudius ihn adoptierte, gab er ihm den Namen „Nero Claudius Caesar Drusus Germanicus”)

. Klemens’ Aussagen scheinen eine neronische Datierung sogar zu verlangen. Andreas unterstützt zwar die Spätdatierung, debattiert aber gegen eine Anzahl von Frühdatierern. Victorinus spricht für die Spätdatierung. Deutlichere Hinweise für eine neronische Datierung finden sich im „Hirt des Hermas“, im muratorischen Kanon, bei Tertullian und bei Epiphanius. Eusebius und Hieronymus scheinen beide Datierungen zu unterstützen. Klare Zeugen für die Frühdatierung sind Aretas, die syrische Geschichte des Johannes, die syrischen Versionen der Offenbarung und Theophylakt.

Offensichtlich gab es in der alten Kirche keine eindeutige und uniforme Tradition in dieser Frage. Aus diesem Grund haben weder Klemens noch Origenes den Kaiser nennen können (oder wollen), unter welchem Johannes verbannt wurde. Sie wussten von dem Irenäuszitat, wollten sich aber nicht darauf stützen. Die Tradition war zu unsicher.

Das innere Zeugnis

Wir gehen vom Textinhalt aus, nicht von sich widersprechenden Thesen (bzw. Zitaten) von Kirchenvätern.

Es gibt mindestens drei Anhaltspunkte.

1. Zum Ersten musste dieser Brief zu einem Zeitpunkt geschrieben worden sein, als die jüdische Verfolgung der Gemeinde des Herrn Jesus sehr stark war. Das geht z. B. aus Stellen wie Off 2,9 und 3, 9 hervor.

3,9: „Siehe: Ich gebe aus der Synagoge des Satans die, die von sich selbst sagen, sie seien Juden, und sie sind es nicht, sondern sie lügen– siehe: Ich werde veranlassen, dass sie kommen und vor deinen Füßen huldigen und zur Kenntnis nehmen, dass ich dich liebte.“

2,9.10: „Ich weiß um deine Werke und deine Bedrängnis und deine Armut– du bist aber reich– und um die Lästerung von Seiten derer, die von sich selbst sagen, sie seien Juden, und sie sind es nicht, sondern [sind] eine Synagoge des Satans. Fürchte nicht die Leiden, die auf dich zukommen. Siehe, der Teufel ist daran, [einige] von euch ins Gefängnis zu werfen, damit ihr geprüft werdet, und ihr werdet zehn Tage Bedrängnis haben. Werde treu bis zum Tode, und ich werde dir die Krone des Lebens geben.“ [Die „zehn Tage“ sind die Tage vor der Hinrichtung. Der Häftling hat zehn Tage Zeit, seinen Glauben zu widerrufen. Der Herr ruft die Heiligen auf, bis zum Tod, d. h. bis zur Hinrichtung, treu zu bleiben.

Der Teufel bedrängte die Heiligen in Smyrna durch eine Christenverfolgung von Seiten der Juden. (Vgl. auch Off 18,20.24.) Viele behaupten, diese Verfolgung sei die unter Domitian.

Off 2,9 und 3,9 deuten darauf hin, dass zur Zeit der Abfassung das Judentum noch stark und eine Gefahr war für die Gemeinde der Heiligen war. Nach 70 n. Chr. war das Judentum keine Gefahr mehr für die Heiligen. Der große Feind und Verfolger der Heiligen in der Off ist  – wie im übrigen NT (Rm, Gal, 1Kr, 2Kr, Php, Kol, 1Th, 2Th, 1Tm, 2Tm, Tit, Heb, Jk, 1P, 2P, 1Jh, Jud und in der Ag) – das fleischliche Israel. Das passt nicht zu einer Zeit nach 70 n. Chr.

Die Juden werden „Synogoge des Satans“ genannt, sie sind die Gefahr schlechthin für die Gemeinde in Smyrna und Philadelphia.

Gemäß Josephus verstießen, als der römisch-jüdische Krieg begann (66 n. Chr.), die meisten griechischen und römischen Städte außerhalb von Palästina die jüdischen Bewohner oder töteten und enteigneten sie. Die meisten Diaspora-Juden waren nach Judäa geflohen, um am Krieg teilzunehmen. Es soll dann über drei Millionen Juden in Judäa gegeben haben. Im Laufe des Krieges wurden die meisten von ihnen getötet, als Sklaven verkauft oder in alle Welt zerstreut wurden. Nach 70 n. Chr. bildeten die Juden in keiner Stadt mehr die Mehrheit und waren nicht mehr in der Lage, Christen zu verfolgen.

Eine breite Christenverfolgung unter Kaiser Domitian (81-96 n. Chr.) ist historisch nicht belegbar, schon gar nicht eine von Seiten der Juden. [Wikipedia: „Die Christen wurden regional zurückgedrängt, so in Rom und Kleinasien. Die christlichen Autoren des 2. und 3. Jahrhunderts schildern Domitian als grausamen Christenverfolger. Tertullian, Eusebius von Caesarea und Laktanz nennen ihn in einer Reihe mit Nero. Bei Tertullian wird er als „halber Nero“[62] bezeichnet, für Eusebius ist er der zweite Christenverfolger, … Obwohl keine systematische Christenverfolgung unter Domitian stattfand, hat insbesondere die christliche Historiografie das Domitianbild nachhaltig negativ geprägt.

S. Wikipedia (Christenverfolgungen im Römischen Reich #Nero): Nach dem jüdischen Aufstand in Palästina, den unter anderem ein Kaiserbild im Tempel ausgelöst hatte, wurden Juden reichsweit verstärkt von der Regierung beobachtet und von der römischen Oberschicht verachtet. Die Juden mussten fortan eine Sondersteuer zahlen. Dies verstärkte die Distanzierung vieler Christen gegenüber der Obrigkeit vom Judentum und die Spannungen zwischen beiden Religionen. Diese Situation könnte hinter den wenigen verstreuten Notizen zu Verfolgungen in Domitians Regierungszeit stehen. Der römische Historiker Cassius Dio berichtet, im Jahr 95 habe der Kaiser neben vielen anderen, die in die jüdischen Sitten verirrt waren, auch seinen Vetter Titus Flavius Clemens wegen „Gottlosigkeit“ hinrichten lassen und dessen Frau verbannt. Es konnte dabei also um die Ablehnung der Staatsgötter gehen: Christen galten deswegen später als atheoi. Der Kirchenhistoriker Eusebius von Caesarea zitiert dazu Hegesippus und behauptet, die Frau des kaiserlichen Vetters sei Christin gewesen. Domitian habe dann eine Judenverfolgung befohlen, die auch Christen getroffen habe, die als Juden denunziert worden seien. Darunter seien Enkel des Judas, eines Bruders Jesu, gewesen. Man habe sie dem Kaiser vorgeführt, er habe sie verhört und nach der Art ihres Glaubens gefragt. Als sie ihm erklärten, Christi Reich sei nicht weltlich, sondern himmlisch, habe er sie freigelassen und die Verfolgung der Christen eingestellt. – Die Darstellung lässt den Anlass der Verfolgung nicht erkennen. Diese war allenfalls zeitlich begrenzt und traf eher Juden als Christen. Dabei können wiederum lokale Spannungen zwischen ihnen eine Rolle gespielt haben]

Die Juden waren nach der Zerstörung Jerusalems nicht in der Lage, die Christen zu verfolgen. Sie waren auch in ihrem Eifer eingeschränkt, zumal sie kein Zentralheiligtum mehr hatten, kein Priestertum und keinen Opfergottesdienst. Die Argumente, die sie hatten, um den den Christen die Dauerhaftigkeit der jüdischen Einrichtungen zu beweisen, waren dahin.

Eine starke jüdische Verfolgung der Christen fand aber vor der Zerstörung Jerusalems statt

2. Gemäß Off 3,10 stand der Gemeinde in Kleinasien und weiter darüber hinaus eine allgemeine große Verfolgungszeit unmittelbar bevor: „Weil du das Wort meiner Ausdauer bewahrtest, werde ich dich auch bewahren vor der Stunde der Prüfung, die im Begriff ist, über das ganze Weltreich zu kommen, um die zu prüfen, die auf der Erde wohnen.“

Unter Domitian fand keine groß angelegte Christenverfolgung statt. (Siehe dazu Robinson, S 242 ff; F. F. Bruce, S 410-412; Guthrie, S 950-952; Gentry S 286 ff; David H. van Daalen, A Guide to the Revelation, 1986, S 3; B. Newman, The Fallacy of the Domitian Hypothesis, NT Studies 10, 1962-63, S 133-139; George Eldon Ladd, A Commentary on the Revelation of John, S 8-9; (Ladd verweist auch auf Ethelbert Stauffer, Christ and the Ceasars, Philadelphia, Westminster: 1955, S 163 ff); F.J.A. Hort, The Apokalypse of St. John, London 1908, S xxiv.) Unter Nero hingegen geschah die grausamste Verfolgung des ersten Jahrhunderts.

Es wird manchmal behauptet, dass die Christenverfolgung unter Nero auf Rom beschränkt geblieben wäre. Aber es ist unbestritten, dass die neronische Christenverfolgung von großer Grausamkeit war, enorm viele Opfer forderte und vielen Führern der Christenheit, allen voran Petrus und Paulus, das Leben kostete. Somit war nicht nur die Gemeinde in Rom betroffen. Im Übrigen mehren sich die Hinweise, dass die neronische Christenverfolgung über Rom hinausgriff. Sicher ist, dass Christen aus dem gesamten Römischen Reich zur Verurteilung nach Rom geholt wurden. Ähnliches ist hingegen für die Zeit unter Domitian nicht bekannt.

Außerdem bekamen die Juden dadurch endlich die Gelegenheit, die (in ihren Augen) „Abgefallenen“ (d. h.: die Nachfolger Jesu Christi) zu töten.

Die Christenverfolgung unter Nero ist durch viele Berichte belegt, auch in den klassischen Lebensbeschreibungen der römischen Kaiser (z. B. bei Sueton und Tacitus). Rom verfolgte die Christen als Christen und benutzte dazu auch das fleischliche Israel. Die Juden hatten sich bis ins Jahr 65 n. Chr. mit dem Kaisertum im Kampf gegen Christus und die Heiligen verbunden, nicht zuletzt auch dadurch, dass Popaena, die Frau Neros, eine jüdische Proselytin war. Popaena starb 65 n. Chr., als Nero ihr mit den Füßen in den schwangeren Bauch trat. Erst danach verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Rom und den Juden, bis Nero im Herbst 66 den Juden sogar den Krieg erklärte. Aber bis dahin nutzten die Juden die Gelegenheit, die Christen zu verfolgen.

Hinweise auf eine beginnende Verfolgung finden wir im 1Petrusbrief (verfasst ca. 64 n. Chr.), vor allem in 4,17: „…, denn der Zeitpunkt ist da, an dem Gericht beginnen sollte, anfangend beim Haus Gottes; wenn aber zuerst bei uns, was wird das Ende derer sein, die der guten Botschaft Gottes ungehorsam sind?“

 „Die Meinung, dass die Verfolgung 64 in Rom begann und sich dann über das ganze Reich ausbreitete, war die vorherrschende Meinung in der Antike. … Verfechter dieser Meinung (im 19. Jh): Baldwin (Comm. ad Edicta Imper.), Launoius, Dodwell, Mosheim.“ (Moses Stuart, 1845, Offenbarungskommentar, Bd 1, S 222ff)

Stuart zitiert Orosius (Horosius; Zeitgenosse von Hieronymus u. Augustinus): Nero „… verfolgte zuerst die Christen in Rom durch Folterung und Tötung und befahl, dass sie in allen Provinzen mit derselben Verfolgung geplagt werden sollten. Er arbeitete sogar dahin, den Namen der Christen auszulöschen; und er ließ die Apostel Christi, Petrus und Paulus, durch das Schwert töten.“ (Historiae VII,7)

Die Juden waren eifersüchtig auf die Christen, weshalb ihnen Neros Verfolgung willkommen war. (Vgl. Jost, Geschichte der Israeliten, Bd 2, S 295ff.320ff; zit. bei Moses Stuart.)

Belege über die weltweite neronische Verfolgung: Orazio Marucci (kath. Gelehrter) erwähnt (in: Manual of Christian Archeology, S 29) römische und italienische Quellen, die anzeigen, dass die neronische Verfolgung sich „durch das ganze röm. Reich ausweitete“, denn „die Christen wurden als Feinde der menschlichen Rasse betrachtet“.

F. Schaff (Geschichte der christlichen Kirche) zitiert folgende Vertreter der Meinung, die neronische Verfolgung war im ganzen Reich: Horosius (400 n. Chr.; Hist. VII,7); Sulpicius Severius (Chron. II,28f); Ewald (VI, 627; und: Ewald, Commentary on Revelation); Renan (S. 183); C.L. Roth (Werke des Tacitus, VI,117).

Wieseler schreibt (in: Christenverfolgungen der Caesaren, S. 11), dass Nero das Christentum als gefährlich für den Staat verbot. Eine Inschrift in Pompeij zeugt von blutiger Verfolgung unter Nero (Kiessling und De Rossi)

Die Christenverfolgung unter Nero währte mehrere Jahre (ab 64 n. Chr.; der Selbstmord Neros fand am 9. 6. 68 n. Chr. statt). Die Verfolgung könnte auch (und vor allem) von Juden getragen worden sein, die in aller Welt wohnten und die Christen hassten. Wenn sie freie Hand bekamen, sich an den Christen zu rächen, ist verständlich, dass die Verfolgung weltweite Ausmaße bekam.

Für eine Christenverfolgung unter Domitian gibt es keine oder nur sehr späte Belege. Sie kann keine groß angelegte gewesen sein und muss von sehr kurzer Dauer und auf gewisse obere Schichten begrenzt gewesen sein. Weil sie so unbedeutend war, verzichtet George E. Ladd, einer der führenden evangelikalen Vertreter der Spätdatierung der Offenbarung, ganz auf das Argument einer Christenverfolgung unter Domitian, da „es keinen Beweis dafür gibt, dass im letzten Jahrzehnt des ersten Jahrhunderts eine offene und systematische Verfolgung der Kirche stattfand“.

Man hat darüber hinaus gegen die Frühdatierung der Offenbarung eingewandt, zur Zeit Neros habe es noch keinen Kaiserkult gegeben, und es gebe keinen Beleg dafür, dass Nero jemals Menschen vor die Wahl gestellt hätte, entweder die römischen Götter anzubeten oder zu sterben.

Dem ist zunächst einmal entgegenzuhalten, dass dies genauso für Domitian gilt. Den ältesten historischen Beleg für die Aufforderung, entweder zu opfern oder zu sterben, finden wir erst einige Zeit nach Domitian für den Kaiser Trajan im 2. Jh. n. Chr. in einem berühmten Brief von Plinius. Außerdem ist einzuwenden, dass bereits Julius Cäsar rund hundert Jahre vor Neros Tod göttlich verehrt wurde und seine Staute im Tempel des Romulus in Rom aufgestellt wurde. Für Kaiser Augustus wurden bereits Tempel im ganzen Römischen Reich gebaut, auch wenn die Anbetung des Augustus zu Lebzeiten nur außerhalb der Stadt Rom gestattet war, was sich nach seinem Tod aber schlagartig änderte. Der Senat von Rom ließ bereits 55 n. Chr. (also ein Jahr nach der Thronbesteigung Neros 54 n. Chr.) eine überlebensgroße Statue Neros im Marstempel aufstellen. Im ganzen Römischen Reich wurden Inschriften gefunden, die die göttliche Verehrung Neros belegen.

Aus 11,7 und aus K. 16 (im Vergl. mit K. 18) geht hervor, dass das Tier von Off 13,1ff jüdisch sein muss und nicht römisch. (Darauf wollen wir in einer weiteren Veröffentlichung später eingehen.) Eine genaue Untersuchung dieser Stellen schließt die Deutung, dass das Tier Nero oder ein anderer römischer Kaiser sein soll, aus.

3. Drittens muss die Offenbarung vor der Zerstörung der Hure Babylon (Off 18) geschrieben worden sein.

Was erfahren wir über die Hure? Wer ist sie?

Sie ist eine Stadt: „Und die Frau, die du sahst, ist die große Stadt, die die Königsherrschaft über die Könige der Erde  [o.: des Landes] hat.“ (Off 17,18)

Die Stadt ist eine Königstadt, sie hat unter den Städten des Landes die Herrschaft inne. Und sie ist eine „große Stadt“ (Off 14,8; 16,19; 17,18; 18,10.16.19.21). Es kommen dafür nur zwei in Frage: Rom oder Jerusalem.

Jerusalem wird in Klg 1,1 als Fürstin unter den Provinzen Judas beschrieben:

Klg 1,1: «Wie sitzt einsam die volkreiche Stadt, ist einer Witwe gleich geworden die Große unter den Völkern! Die Fürstin über die Provinzen ist fronpflichtig geworden.“

In 5,16 wird sie die „Krone unseres Hauptes“ genannt.

Der Hure will nicht wahr haben, dass sie in Kürze eine Witwe (Verlassene) werden und ihren Königinnenstatus verlieren wird (Off 18,7.8): „Wie viel sie sich verherrlichte und in Üppigkeit lebte, so viel Qual und Trauer gebt ihr, weil sie in ihrem Herzen sagt: ‘Ich sitze als Königin, und eine Witwe [o.: Verlassene] bin ich nicht, und Trauer werde ich auf keinen Fall sehen.’ Deswegen werden ihre Plagen an einem Tage kommen: Tod und Trauer und Hungersnot, und mit Feuer wird sie verbrannt werden, weil der Herr stark ist, Gott, der sie richtet.“

Nach der ersten Zerstörung Jerusalems (587 v. Chr., durch Nebukadnezar) heißt es von ihr, dass sie „einer Witwe gleich geworden” ist (Klg 1,1).

Das Gericht über die Hure steht zur Zeit der Abfassung kurz (Off 1,1.3; 22,6.10) bevor. Deshalb wird das Volk Gottes aufgefordert, aus ihr hinauszugehen (18,4.5): „Geht aus ihr hinaus, mein Volk, damit ihr nicht ihrer Sünden teilhaftig werdet und damit ihr nicht von ihren Plagen empfangt, weil ihre Sünden bis zum Himmel folgten, und Gott gedachte ihrer Ungerechtigkeiten.“

Die Hure hat in der Vergangenheit das Blut der Heiligen und Propheten vergossen (Off 18,24): „Und in ihr wurde Blut von Propheten und Heiligen gefunden, und [zwar] von allen denen, die auf der Erde [o.: im Lande] hingeschlachtet wurden.“

Rom hat nie Propheten getötet, Jerusalem aber ist die Stadt, die dafür bekannt ist, dass sie „die Propheten tötet“. Von ihr sagte der Herr (Mt 23,37.38): „Jerusalem, Jerusalem, die die Propheten tötet und die steinigt, die zu ihr hingesandt worden sind! Wie oft wollte ich deine Kinder sammeln in der Weise, wie eine Henne ihre eigenen Küken unter die Flügel sammelt! Und ihr wolltet nicht! Siehe! Euer Haus wird euch öde gelassen werden“. und (Lk 13,33): „Es geht nicht an, dass ein Prophet außerhalb Jerusalems umkomme.“

Von dem „bösen und ehebrecherischen“ Geschlecht (Mt 12,39) seiner Zeit (Mt 23,36) sagte der Herr (Lk 11,49-51): „Deswegen sagte auch die Weisheit Gottes: Ich werde Propheten und Apostel zu ihnen senden, und [einige] von ihnen werden sie töten und verfolgen, damit von diesem Geschlecht eingefordert werde das Blut aller Propheten, das vergossen wurde von Gründung der Welt an, vom Blut Abels bis zum Blut des Zacharias, der zwischen dem Altar und dem Hause umkam. Ja, ich sage euch: Es wird eingefordert werden von diesem Geschlecht.“

Von der Hure heißt es (Off 19,1.2): „Halleluja! Das Heil und die Herrlichkeit und die Ehre und die Kraft dem Herrn, unserem Gott! – weil seine Gerichte wahrhaftig und gerecht sind, weil er die große Hure richtete, die mit ihrer Hurerei die Erde [o.: das Land] verderbte, und er rächte das Blut seiner Knechte, [forderte es] von ihrer Hand.“

Der Ausdruck „Witwe“ und „Königin“ in Klg 18,7 — in Anspielung auf Klg 1,1 — deutet hin auf eine Bundesbeziehung jener „Stadt“ zu Gott, wie im AT Jerusalem eine Bundesbeziehung zu Gott hatte. Anschaulich dargestellt wird dieses in Hes 16,8-13: „Und ich ging an dir vorüber und sah dich, und – siehe – deine Zeit war die Zeit der Liebe. Und ich breitete meinen Zipfel über dich aus und bedeckte deine Blöße. Und ich schwor dir und trat in einen Bund mit dir,– [ist der] Ausspruch meines Herrn, JAHWEHS, – und du wurdest mein. Und ich badete dich in Wasser und spülte dein Blut von dir ab und salbte dich mit Öl. Und ich bekleidete dich mit Buntgewirktem und beschuhte dich mit Delphinhäuten [Tachasch-Leder], und ich umkleidete dich mit Byssus und bedeckte dich mit Seide. Und ich schmückte dich mit Schmuck: Ich legte Armringe an deine Hände und eine Kette um deinen Hals und legte einen Reif in deine Nase und Ringe in deine Ohren und [setzte] eine Prachtkrone auf dein Haupt. Und so wurdest du mit Gold und Silber geschmückt, und deine Kleidung war Byssus und Seide und Buntgewirktes. Du aßest Feinmehl und Honig und Öl. Und du warst überaus schön und gelangtest zum Königtum.“ Aber danach begann Gottes Braut zu huren (Hes 16 und 23). Vgl. Jes 1,21: „Wie ist zur Hure geworden die treue Stadt! Sie war voll Recht, Gerechtigkeit weilte darin, und jetzt Mörder!“

Ebenso hatte die Hure eine Bundesbeziehung zu Gott und ist (durch die Verwerfung Gottes, seines Königs in dem Messias) zur Hure und Ehebrecherin (vgl. Off 2,22) geworden. „Wir haben keinen König als nur den Kaiser!“ (Joh 19,15).

Rom hatte nie eine Bundesbeziehung zu Gott.

In der Off gibt es nur zwei „große“ Städte: die eine ist die „große Stadt“, die den Decknamen „Babylon“ hat, die andere ist die große Stadt“ aus Off 21,2, das „neue Jerusalem“. Diese beiden Städte stehen einander gegenüber (Vgl. 17,1-3 mit Off 21,9.10): V. 10: „Und er trug mich im Geist fort auf einen großen und hohen Berg und zeigte mir die große Stadt, das heilige Jerusalem, wie sie niederkam aus dem Himmel von Gott“. Fn.: So Off 21,10 nach dem byzantinischen Text und der überwältigenden Mehrheit der gr. Hss. (Der Ausdruck „große Stadt“ fehlt im Codex Vaticanus und Codex Sinaiticus und sehr wenigen anderen Hss.)

Die „große Stadt“ wird in 11,8 als Jerusalem identifiziert, die Stadt, in der der Herr gekreuzigt wurde: „Und ihre Leichname werden auf der Straße der großen Stadt liegen, die in geistlicher Hinsicht ‘Sodom’ und ‘Ägypten’ heißt, wo auch unser Herr gekreuzigt wurde.“

Jerusalem hat also nicht nur den Namen „Babylon“, sondern auch „Sodom“ und „Ägypten“. „Sodom“ erinnert an die üblen Sünden, die dort den gerechten Lot plagten. Ägypten steht für die Unterdrückung des Volkes Gottes durch den Pharao.

Nach dem Fall der Hurenstadt lesen wir von der Hochzeit der Brautstadt. Nach dem Tod der hurerischen Bundesbrecherin kann Gott die Braut heiraten.  Die Braut (Off 21) ist das neue, die Hure das alte Jerusalem (vgl. 11,8).

Thomas Jettel, 2021

(Der erste Teil ist nach einem Artikel von Thomas Schirrmacher: «Frühdatierung der Offenbarung»)


[1]Ähnlich S.H. Chase, The Date of the Apokalypse, 1907, S 431, zit. in Kenneth L. Gentry, Before Jerusalem Fell, Texas 1989, S 50. Hier und im Folgenden siehe auch den Artikel von Thomas Schirrmacher: Die Frühdatierung der Offenbarung.

[2]Irenäus, Adv. Heres. 2.22.5

[3]Guthrie, Introduction to the NT, Leicester (1961) 1990

[4]Beispiele bei Gentry, S 63

[5]Eusebius, Kirchengeschichte, 3.23.5-19

[6]Z.B. Plinius der Ältere (23-79 n. Chr.), Tacitus (56-117), Sueton (70-130), Juvenal (60-138), Dio Cassius (150-235), das jüdische Sibellinische Orakel (nach 70 n. Chr.), die „Himmelfahrt des Jesaja“ (ca. 150), Tertullian (160-220), Eusebius (260-340), Lactantius (260-330), Sulpicius Severus (360-420), die apokryohe Apostelgeschichte des Johannes.

[7]Gentry, S 69-83

[8]Z.B. in den Sibyllinischen Orakeln, bei Tertullian, Lactantius, Hieronimus, Augustinus und Sulpicius Severus. Quellenangaben bei Gentry S 79 ff

[9]Klemens v. Alexandrien, Wer ist der reiche Mann, der gerettet werden soll, 42.1-15; Eusebius, Kirchengeschichte, 3.23.5-19

[10]Gentry führt ein Zitat von Klemens an, in dem es heißt: „Die Lehre unseres Herrn … wurde in der Mitte der Regierungszeit des Tiberius vollendet. Und die der Apostel, einschließlich des Dienstes des Paulus, endet mit Nero.“ (Verschiedenes, 6.13). Da Klemens den Apostel Johannes als Autor der Offenbarung anerkennt, scheint dies darauf hinzuweisen, dass Klemens die Offenbarung vor den Tod des Nero datiert. Gentry, S 84 f.

[11]Tertullian, Praescr. 36.3, zit bei Robinson, S 234

[12]Hieronymus, Contra Jovin (Adversum Jovinianum). 1.26; Gentry, S 95-97

[13] Gentry, S 97-98

[14]Vgl. Moses Stuart, Commentary on the Apocalypse, 1845, Bd 2, S 271-272

[15]Gentry ziteirt die englische Übersetzung S 99

[16]Eusebius, Kirchengeschichte, 3.18; Üs. aus dem Englischen

[17]Eusebius, 3.38.5; 3,29.1-6

[18]Epihanius, Haereses, 51.12 u. 33

[19]F.J.A. Hort, The Apoclypse of St. John, London 1908, S. xviii; zit. bei Gentry, S 104. Moffat, Guthrie und Mounce u.a. stimmen mit dieser Ansicht überein.

[20]Kaiser Claudius regierte von 41-54 n. Chr.

[21]Epiphanius, Haer. 51.12 u. 33; zit bei Robinson, S 235

[22]Robinson, S 235

[23]Siehe Robinson, S 234

[24]W. Wright (hrsg), Apocryphal Acts of the Apostles, London, 1871, 2.Bd. S 55-57

[25]J. Gwynn (hrsg), The Apocalypse of St. John in a Syriac Version hitherto unknown, Dublin, 1897, S 1; zit bei Robinson, S 235

[26]Quellen bei Gentry, S 106

[27]Peake, Swete, Charles, Stuart; Quellen bei Gentry, S 108

[28] Hort, Apocalypse xix f

[29]Deutsch: „Wann entstand das Neue Testament?“, Wuppertal 1986.

[30]Robinson, a.a.O., S 236 (dt. Übers.); „und Bruce sagt mir, er neige jetzt in diese Richtung.“

[31]Gentry, S 108 f